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„Gedanken zur Lage nach der Bundestagswahl und Handlungsperspektiven für das Netzwerk Progressive Linke“

Thomas Nord, Jan Schlemermeyer

Gedanken zur Lage und Handlungsperspektiven für das Netzwerk Progressive Linke

Vorbemerkung

Seit dem 20. Januar setzt Donald Trump sein „Projekt 2025“ um. Das ist kein national beschränktes, sondern ein globales Ereignis. Im Kern geht es darum dem relativen Bedeutungsverlust der Weltmacht USA, im epochalen Übergang zu einer postfossilen und digitalen Form das globalen Kapitalismus, mit der skrupellosen Entfesselung ihrer verbliebenen Machtressourcen zu begegnen. Dafür geht Trump ein Zweck-Bündnis mit autoritären Regimen weltweit ein. Sie sind zwar untereinander vielfach bittere Konkurrenten und ideologische Gegner, treffen sich aber im gemeinsamen Ziel eines autoritären Multipolarismus, in dem nicht menschenrechtliche Normen, internationale Abkommen oder eine kritische Öffentlichkeit, sondern nur noch das Recht des jeweils Stärkeren entscheidet. Das internationale Staatssystem als Hightech-Version von Game of Thrones – das ist die damit drohende, reale Dystopie. Sie stößt weltweit auf erschöpfte Parteien der liberalen Demokratien, die sich jahrzehntelang geweigert haben den bestehenden Status Quo, trotz aller Krisen und seiner zunehmenden Dysfunktionalität, auch nur ansatzweise in Frage zu stellen. Im Ergebnis steht heute nicht nur in den USA die Existenz der liberalen Demokratie als zivilisierte Herrschaftsform in Frage. Währenddessen wird die Klimakrise absehbar eskalieren: Naturwissenschaftler gehen davon aus, dass bis 2030 die ersten 4 von 16 Kipppunkten für das Weltklima erreicht sein könnten. Katastrophenkapitalismus plus autoritäre Herrschaft – es gab schon einmal bessere Zukunftsaussichten.

Vor diesem Hintergrund werden die nächsten Jahre tatsächlich entscheidend sein. Mit den Midterm Elections 2026 und den Präsidentschaftswahlen im November 2028 wird die Frage beantwortet, ob die Bevölkerung der USA das Projekt Trump irreversibel macht. Die französischen Präsidentschaftswahlen 2027, die Wahlen zum Deutschen Bundestag im Frühjahr und die Europawahlen im Juni 2029 werden dann die Frage beantworten, ob die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten diesem Weg folgen oder ob es gelingt, eine progressiv-demokratische Alternative der Souveränität, Solidarität und ökologischen Erneuerung zu etablieren. Uns bleiben bestenfalls vier Jahre Zeit. Nutzen wir sie.

1. Trump und die neue Welt

Trumps ehemaliger Stabschef John Kelly bezeichnet diesen als Faschisten. Trump lässt mit seinen Handlungen wenig Zweifel daran aufkommen, dass dies zutrifft. Er wickelt nationale Institutionen ab und ignoriert die verfassungsmäßigen Rechte anderer, kündigt multilaterale Verpflichtungen, deportiert tausende Menschen außer Landes, verkündet territoriale Ansprüche und ignoriert Völkerrecht. Erstes Kriterium seines Handelns ist die Frage, was Amerika nützt. Interessen anderer kommen danach oder interessieren nicht. Er hat viel Macht versammelt, um das, was er fordert, auch Wirklichkeit werden zu lassen.

Er setzt die für Diktatoren typischen Herrschaftsformen ein: Erpressung, Drohungen, Demütigungen. Ob daraus mehr als die schon jetzt zerstörerische Willkür wird, entscheidet sich an der Frage, ob er versucht, seine martialischen Forderungen „nur“ mit dem erpresserischen Einsatz politischer, finanzieller und wirtschaftlicher Macht oder auch mit militärischer Gewalt und offener Aggression umzusetzen. Die derzeitigen Tabubrüche sind nicht zufällig. Erlaubt ist, was in einem nationalistischen Weltbild als Recht des Stärkeren empfunden wird. Es geht um eine Entfesselung aller staatlichen wie wirtschaftlichen Macht. Regellosigkeit im internationalen wie nationalen Rahmen ist das Ziel. Die zahlreichen Angriffe auf Institutionen wie Verfassung, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Demokratie und Menschenrechte, die Bewahrung der Schöpfung, sind letztlich nur Mittel zum Zweck. Klar ist: Trump will Herr sein und in der Regel haben unter ihm nur Knechte einen Platz.

Dabei war die Etablierung demokratischer Zivilisation in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika zwar bisher immer mit harten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen verbunden. Doch bei allen Einschränkungen und Widersprüchen, angesichts von Rassismus im Innern und allzu oft imperialer Politik nach Außen, war ihre politische Geschichte unterm Strich auch die einer jahrhundertelangen progressiven Entwicklung. Und sie war darin zugleich maßgeblich für den Aufstieg der USA zur heutigen Weltmacht. Ihre kulturelle wie politische „Soft Power“ war ein wesentlicher Teil ihrer Hegemonie. Trump bricht mit Unterstützung der Mehrheit der US-Wähler*innen nun diese Tradition. Mehr noch, er stellt die regelbasierte internationale und zivilisatorische globale Ordnung, wie sie sich nach 1945 herausgebildet hat, vollständig in Frage. Abzuwarten bleibt, wie lange es dauert, bis diese Entwicklung in den USA selbst auf effektiven Widerstand stößt.

Zurzeit starrt die Welt noch mit hilflosem Entsetzen auf die neue Lage. Nicht mehr nur Putin, sondern auch Trump arbeiten nun systematisch an einer Welt der Regellosigkeit und Willkür. Alle anderen, die sich bisher zumindest bemüht haben, den Eindruck zu erwecken, das sie an den Regeln festhalten, beginnen erst langsam zu begreifen, wie sehr man diesen imperialen Egomanen ausgeliefert ist. Alles ist unberechenbar und Spielball in den Händen von Trump und seiner Mannschaft. Die Hoffnung, es werde sich irgendwann wieder die bisherige „Normalität“ einstellen, ist eine Illusion. Die Auswirkungen dürften dauerhafter Natur sein. Eine neue regellose Weltunordnung wird Realität. Ein globaler Wildwest, der sich vom bisherigen, globalen Ringen der Standorte um Einfluss, samt seiner viel zu häufigen Völkerrechtsbrüche und wiederkehrenden Missachtung der Menschenrechte, durch einen wesentlichen Punkt unterscheidet: Diese Normen sollen nun nicht einmal mehr formell als solche gelten, kein Ideal mehr sein, an dem sich die Praxis politischen Handelns wenigstens dem Anspruch nach ausrichten soll. Das ist keine Kleinigkeit, sondern – man muss es gegen die Liberalismusverachtung von links und rechts so klar sagen – ein Unterschied ums Ganze. Es ist ein Freifahrtschein für enthemmte Brutalität. Die Autokraten wollen die Konkursmasse der Freiheit unter sich aufteilen. Wer das nicht will, hat in Washington, Moskau oder Peking keine Freunde mehr.

Trump und Putin eint ökonomisch die Verteidigung des Fossilismus, das Streben nach der entsprechenden globalen Machtstellung und eine egoistische bzw. nationalistischen Wohlstandserwartung. Trump hat zugleich einen Deal zwischen fossilem Kapital und den High-Tech-Konzernen als Grundlage seiner Herrschaft etabliert und setzt dessen Interessen brachial durch. Musk und Zuckerberg ist egal, wie die Energie für ihre Server produziert wird. Hauptsache, sie haben genug davon und günstig. Ihre Perspektive ist die einer völligen Abschottung von der Masse, entweder in Gated Communities mit eignen Institutionen, in einer künstlichen, Trans-humanistischen Zukunft oder sogar auf dem Mars. Die natürliche Welt der großen Mehrheit aller Menschen ist für sie bestenfalls sekundär.

Für seine Strategie globaler Herrschaft, „America first“ und das Funktionieren seiner Machtbasis in den USA sucht Trump den globalen Zugriff auf die großen Ressourcen fossiler Rohstoffe. Dazu will er sich das autoritäre Russland als „Verbündeten“ und Rohstoffquelle sichern. Und er will vermeiden, dass dieser Zugriff in die Hände Chinas fällt. Dieses setzt zunehmend auf erneuerbare Energien im Zusammenwirken mit High-Tech und scheint somit global zunehmend als technologische wie machtpolitische Alternative zum fossilen Kurs von Trump und Putin. Es steht ihnen in Punkto Gewaltbereitschaft gegenüber dem Individuum und autoritärem Herrschaftsanspruch allerdings in nichts nach. Das demokratische Europa ist in diesem machtpolitischen Spiel bisher eine zerstrittene und unentschlossene Regionalmacht, die für Trump bestenfalls als Absatzmarkt von Bedeutung ist. In der langen Perspektive kann es zu einer Neuordnung der Blöcke kommen, nach der Kontinental-Europa der Hinterhof von Asien ist.

Der Demokratie geht eine historische Führungsmacht verloren. Zugleich lodert der Kampf um die Demokratie auch in Europa erneut auf. Er entstand aus dem Kampf gegen die Willkür, den Machtmissbrauch und die Rechtlosigkeit der Monarchie und setzte sich fort in der sukzessiven Durchsetzung von Menschenrechten, der sozialen Zähmung des kapitalistischen Marktes und der rechtlichen Bindung nationalstaatlicher Gewalt. Die demokratischen Quellen der Zivilisation werden auch in Zukunft nicht versiegen. Sie sprudeln in den Ländern, die weiterhin bereit sind, ihre demokratischen Institutionen zu schützen. Sie leben dort, wo Menschen um sie kämpfen. In demokratischen Ländern selbst, in denen die Demokratie längst häufig genug von innen heraus angegriffen wird, aber auch in den von autoritären und diktatorischen Regimen beherrschten Ländern. Niemals darf man die Demokrat*innen dort im Stich lassen.

2. EU und Deutschland

Für die Europäische Union und Deutschland ist diese Entwicklung ein einschneidendes Ereignis. Aus dem Land, welches zusammen mit den Alliierten Hitler besiegt und der Bundesrepublik die Demokratie gebracht hat, welches zu den engsten Verbündeten und wichtigsten ökonomischen Partnern gehörte, auf das man sich in Sicherheitsfragen blind verlies, wird eine unberechenbare Gefahr. Wo die Bundesrepublik gestern noch „von Freunden umzingelt“ war, ist Europa heute von Feinden und rücksichtslosen Konkurrenten umstellt. Wird dieser Druck Europas Demokratien aufsprengen und eine nach dem anderen selbst ins autoritäre Dunkel kippen – oder enger zusammenrücken lassen?

Die USA mit Trump als Präsident ist weder ein Freund noch verlässlicher Verbündeter. Die NATO muss heute nicht mehr von links in Frage gestellt werden. Ihre Dekonstruktion erfolgt jetzt aus dem Kreis ihrer Gründungsmitglieder. Man kann den diversen Ministern das täglich wachsende Unbehagen über den neuen „Freund“ in Washington regelrecht ansehen. Die EU möchte an den multilateralen Vereinbarungen z.B. zum Klimawandel festhalten. Es fehlt ihr aber jetzt ein strategischer Partner. Die Lobby fossiler Energien und neoliberal-ibertärer Phantasien wittert auch hier Morgenluft.

Deutschland und die EU haben nicht den geringsten Plan, wie man mit dieser neuen Lage umgehen soll. Man macht gute Miene zum bösen Spiel, das in der Lage ist, alle (!) Verhältnisse, die bisher die Politik des Landes und der EU maßgeblich mitbestimmt haben, in Frage zu stellen. Es tut Not, diese Debatte und mögliche Folgen, aus den Hinterzimmern der Macht zu holen. Denn sie verändert unser Leben, politisch, militärisch, ökonomisch, ökologisch und damit auch sozial.

Die politische Klasse in Europa ist zerstritten und mehrfach gespalten. Sie hat weder in Brüssel noch in den Hauptstädten ein handlungsfähiges Zentrum, findet für viele zentrale gesellschaftspolitischen Fragen keine gemeinsamen, nachhaltigen und stabilen Lösungen. Darüber hinaus hat sie mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine einen schwer zu lösenden und existenziellen politischen, militärischen und ökonomischen Konflikt zu bewältigen. Alle globalen gesellschaftspolitischen Konfliktlinien durchziehen auch die europäische Staatengemeinschaft und ihre national umrahmten Gesellschaften. Vom Wegbrechen einer positiven Zukunftsperspektive profitiert auch in der EU überall eine extreme Rechte, die mit reaktionären Ersatzhandlungen und Abschottungsversprechen auf die zahlreichen Krisen reagiert. Sie suggerieren Souveränität und Handlungsfähigkeit durch Hetze gegen Minderheiten und die Perspektive einer autoritär formierten Gesellschaft mit marktradikal entfesselter Wirtschaft.

Die Frage für alle DemokratInnen in Europa ist dagegen: Bewältigen wir das Jahrhundertprojekt des nötigen Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft samt der verschiedenen Krisen im Rahmen von Rechtsstaat oder Demokratie oder verfallen wir auch hier verschiedenen Varianten des Autoritarismus? Wenn wir das größte Sicherheitsprojekt der modernen Geschichte, die Rettung vor Klimakatastrophe und gesellschaftlichem Zerfall, nicht Großmächten überlassen wollen, die für unterschiedliche Formen des offenen Autoritarismus stehen, muss unsere Antwort auf diese Frage eine deutliche Stärkung der EU einschließen. Denn bei allen autoritären Tendenzen in der EU selbst: Nur in ihr finden sich Steuerungskapazitäten wie Input-Kanäle, um innerhalb der nächsten 20 Jahre den nötigen Umbau noch demokratisch ins Werk zu setzen. Davon hängt nun alles ab.

3. Die Lage nach der Bundestagswahl

Das Scheitern der Ampel und die vorgezogenen Bundestagswahlen sind Symptome dieser Lage. In Deutschland sind 60% der Wähler*innen bereit, eine inzwischen offen faschistische Partei oder solche zu wählen, die bereit sind, mit dieser zu kooperieren. Nur etwa 35% sind dazu nicht bereit. Das ist die Botschaft des Geschehens am 29. und 31. Januar 2025 im Bundestag. Die gewollt herbeigeführte und trotz aller Warnungen und Proteste durchgezogene Abstimmung von Union, FDP und BSW mit der AfD hatte vor allem einen Effekt: eine tiefgreifende und irreparable Spaltung der bundesdeutschen Parteienlandschaft in eine Parteiengruppe, die bereit ist, mit Faschisten gemeinsame Sache zu machen und eine, die sich dem konsequent verweigert. Der öffentliche Aufschrei und die massiven Demonstrationen gegen den symbolischen Dammbruch von Friedrich Merz waren ermutigend und haben Schlimmeres vorerst verhindert. Aber die Zeit läuft ab, die Normalisierung des Faschismus zu einem regulären Druckmittel politischer Verhandlungen geht in Bund und Ländern kontinuierlich weiter. Die gezielte Attacke der Union auf wichtige Organisationen der demokratischen Zivilgesellschaft ist ein weiterer Beweis dafür. Nur auf die progressiven Parteien wird man sich also in den kommenden Jahren bei der nötigen Verteidigung von Rechtsstaat und Demokratie verlassen können. Darin liegt auch unsere Verantwortung.

Wenn aus dem Wahlergebnis nun trotzdem eine Regierung von Union mit der SPD folgen sollte, hätte sie zwar eine parlamentarische Mehrheit. Weil aber ca. 10% der rechten Stimmen durch die Fünfprozentklausel im Bundestag unter den Tisch gefallen sind, würde sie keine gesellschaftliche Mehrheit repräsentieren. Eine solche Regierung der politischen Stagnation würde trotz ihrer konservativen Grundorientierung links von der Mehrheit der Wähler*innen stehen. Der Druck auf diese Regierung käme stark von Rechtsaußen. Links von der Union gibt es keine parlamentarische Mehrheit. Die Union kann jederzeit ihre Koalitionspartnerin mit der AfD erpressen. Merz hat es im Bündnis mit Weidel, Lindner und Wagenknecht bei den Migrationspaketen im Deutschen Bundestag schon vorgeführt. Derzeit reagieren SPD und Grüne auf den Siegeszug der Rechten mit einer brüchigen Verteidigungslinie für den Rechtsstaat und dem Konzept „Wandel durch Annäherung“ an diesen hässlichen Mainstream. Sie rücken in wesentlichen Politikfeldern, wie der Einwanderungs- und Asylpolitik, schrittweise selbst immer weiter nach rechts und schaffen es kaum eigene Themen zu setzen. Davon profitiert die extreme Rechte. Wird Die Linke darauf eine bessere, die demokratischen Kräfte zusammenführende Antwort finden? Oder feiert sie selbst-genügsam ihren derzeitigen Wahlerfolg und ihr unerwartetes politisches Überleben, durch die permanente Wiederholung ihrer soziale Alleinstellungsmerkmale? Wie kann sie eine aussichtsreiche Strategie für die kommenden Jahre bis 2029 entwickeln?

Nach dem Einzug der Linken in den 21. Bundestag werden Kräfte in den drei Parteien auch erneut über eine Zusammenarbeit nachdenken. Die Massenmobilisierungen der aktiven Zivilgesellschaft nach dem Dammbruch haben gezeigt, welches gesellschaftliche Potential die progressiven Parteien abbilden könnten. Nur werden sie dabei immer wieder auch von Kräften in diesen Parteien daran gehindert werden, diese in der Praxis umzusetzen. Auf der einen Seite blockiert die machtpolitische Fixierung von SPD und Grünen auf die Union und ihre letztlich doch relativ verhaltenen Proteste gegen das trumpeske Agieren von Merz im Wahlkampf die Entwicklung einer progressiven Perspektive. Anderseits bleibt die außen- und sicherheitspolitische Position der Linken, gerade angesichts der Situation, in der sich Deutschland und die EU durch die Entwicklung in den USA wiederfinden, ein definitives Hindernis für eine Zusammenarbeit auf Bundesebene. Aber wenn die Europäischen Union oder Mitgliedsstaaten in der neuen globalen Lage nicht zur wehrlosen Beute diverser Autokraten werden wollen, werden sie sich militärisch (nicht militaristisch) gemeinsam aufstellen und ihre politische Einigung auf allen Ebenen forcieren müssen. Wenn die Linke hier bei ihrer Performance aus den Losungen Frieden, Verhandlungen und Abrüstung bleibt wäre das für jede institutionelle Zusammenarbeit auch in anderen Fragen ein klares Hindernis.

4. Die Linke und das Netzwerk Progressive Linke (NPL)

Das NPL wurde nach der Bundestagswahl 2021 gegründet. In den vergangenen dreieinhalb Jahren hat es seine wesentlichen Ziele erfolgreich umgesetzt. Die Linke wurde von den führenden nationalistischen und rassistischen Kräften um Sahra Wagenknecht getrennt, wodurch zweitens dem selbstzerstörerischen Hufeisen der innerparteilichen Kooperation mit diesen Kräften und der daraus resultierenden politischen Beliebigkeit der Partei ein Ende bereitet wurde. Bei der Erarbeitung der Wahlprogramme der Partei zur Europa- und jetzt zur Bundestagswahl konnten erste wichtige programmatische Punkte etabliert werden. Damit haben wir einen Beitrag dafür geleistet, dass die Partei bei der vorgezogenen Bundestagswahl erfolgreich und politisch wieder klar erkennbar auftreten konnte. Ohne diese Trennung hätte Die Linke nicht den Zulauf der vergangenen Wochen und Monate bekommen können. Denn sie ist wesentlich wegen ihrer öffentlichen Wahrnehmung als Kraft eines konsequenten und sozialen Antifaschismus gewählt worden.

Während des konfliktreichen Prozesses haben Mitglieder die Partei verlassen, aber ihre politische Überzeugung deswegen nicht aufgegeben. Viele Mitglieder des NPL sind Mitglieder der Partei und werden sich in den weiteren Erneuerungsprozess einbringen. Es wird daher auch weiterhin unsere Aufgabe sein, diesen Weg der Koexistenz konstruktiv- kritisch und solidarisch zu begleiten. Gerade weil Die Linke wieder eine wachsende politische Kraft ist, lohnt es sich für Mitglieder des Netzwerkes, um eine ernsthafte programmatische und strategische Erneuerung der Partei zu kämpfen. Die daraus entstehende Chance für eine Renaissance als zeitgemäße politische linke Kraft ist eine der vor uns liegenden Aufgaben. Klar ist, dass Mitglieder des Netzwerkes, die in Verantwortung für die Partei stehen, dort ihren Wirkungsmittelpunkt haben und nur eingeschränkt Raum für ein Engagement jenseits innerparteilicher Kompromissvereinbarungen bleiben wird.

Aber auch eine sich positiv entwickelnde Linke allein wird absehbar nicht ausreichen, um dem Rechtsrutsch in der Gesellschaft etwas nachhaltiges, eine machtpolitische progressiv-demokratische Alternative mit breiter gesellschaftlicher Unterstützung entgegenzustellen. Der bloße Ausbau der Partei ist in dieser Lage ohne eine aktive Beteiligung an der Verteidigung des Grundgesetzes und der demokratischen und solidarischen Erneuerung der Gesellschaft und ihrer Institutionen schlicht keine hinreichende Strategie. Die politische Zielstellung für das weitere Agieren des NPL als Ganzes muss daher von den akuten gesellschaftlichen Herausforderungen bestimmt werden. Abwägungen zu innerparteilichen Kräfteverhältnissen sind nur in diesem Rahmen von grundlegender Bedeutung.

Mitglieder des NPL, gerade auch parteilose, sollten sich in diesem Sinn jetzt verstärkt in gesellschaftliche Bündnisse zum Kampf gegen die fossile, nationalistische und rassistische Reaktion und für eine progressive und nachhaltige Erneuerung des Landes und der EU einbringen. Das dürfte vor allem (aber nicht nur) die Aufgabe derjenigen sein, die ihre individuellen Kräfte nicht (oder nicht nur) in die Erneuerung der Partei investieren wollen und denen es in Bündnissen abgenommen wird, dass sie ohne Parteiauftrag unterwegs sind. Es ist gut, dass es ähnliche Initiativen von Mitgliedern der SPD und der Grünen und vor allem bei zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie Gewerkschaften gibt. Hier sollten wir uns für den Ausbau langfristiger Kooperationen und belastbarer Zusammenarbeit stark machen.

5. Neues Bündnis

r die Formierung einer demokratischen und solidarischen Alternative zu Stillstand und anhaltenden Rechtsruck bleiben hierzulande im günstigsten Fall drei Jahre Zeit. Es braucht ein starkes Bündnis zur Verteidigung und zugleich progressiven Erneuerung von Demokratie und Gesellschaft. Spätestens 2028 beginnt der nächste Bundestagswahlkampf. Es reicht nicht, den Status Quo zu verteidigen. Als Motivation braucht es das Ziel einer offensiven, demokratischen und solidarischen Erneuerung des Landes, mit der es möglich wird, belastbare Schnittmengen für einen aktiven Kampf, herauszuarbeiten und praktisch zu vernetzen. Wir sollten als Progressive Linke dazu beitragen, dass sich so ein Lager, so ein Bündnis zeitnah entwickelt und handlungsfähig wird.

Dieses Vorhaben richtet sich an demokratische Linke in und außerhalb der Partei. Das Gleiche gilt für soziale Demokrat*innen oder solidarische Grüne und parteilose Gleichgesinnte, auch demokratische Konservative. In diesem Bündnis muss man gut damit klarkommen, dass die Partei(en) nicht der prioritäre Dreh- und Angelpunkt für jegliches Bemühen sind, sondern immer die Gesellschaft und die Auseinandersetzung in ihr der Ausgangspunkt bleibt. Nichts spricht dagegen, in einer Partei für unsere Ziele und für eine Zusammenarbeit einzutreten. Zugleich brauchen wir jetzt den Diskurs zwischen diesen Menschen und wo möglich mit diesen Parteien. Wo nicht ohne sie. Denn letzten Endes bilden Menschen Bündnisse und Koalitionen.

Es genügt nicht mehr, nur gegen die Feinde der Demokratie oder die Kräfte, die bereit sind mit diesen zu kooperieren, zu mobilisieren. Die Kampagne für das Verbot der AfD ist ein richtiges Anliegen, aber es musste ohne eine machtpolitische Alternative, die in der Lage ist, die Menschen auch r (!) tiefgreifende demokratische gesellschaftspolitische Veränderungen zu mobilisieren, scheitern. Und diese Alternative haben Millionen Wähler*innen im vergangenen Bundestagswahlkampf unter den demokratischen Parteien lange gesucht, bevor sich viele letztendlich für Die Linke entschieden haben. Ein solches Bündnis wird trotzdem etwas anderes sein als die berühmte „breite Linke“. Das ist Die Linke, als ein großes, mitunter durchaus kontroverses Kaleidoskop, ja schon selbst. Das sollten wir respektieren. Nur erwächst daraus nicht zwangsläufig die jetzt notwendige Handlungsfähigkeit für die konstruktive und zielgerichtete Zusammenarbeit aller demokratischen Kräfte.

Hierfür wird es auch weiter reichende Antworten auf Fragen brauchen: „Warum sind die Demokratien gerade insgesamt so schwach aufgestellt und angreifbar?“, „Warum können sie nur noch in abnehmenden Maß überzeugen?“ „Welche attraktiven Angebote und Konzepte sind möglich jenseits von berechtigter Empörung und Verbotsdebatten?“

Ein neues Bündnis braucht einerseits eine parteiübergreifende Debatte um gemeinsame Reformziele und andererseits ein kooperatives Verhältnis zu allen Parteien, die bedingungslos bereit sind, das Grundgesetz und seine Werte zu verteidigen. Diese Kräfte in der Gesellschaft sind derzeit definitiv schon eine Minderheit, weil die konservativen, nationalistischen und neoliberalen Parteien am 29. und 31.01.2025 bereits im Bundestag bewiesen haben, dass sie bereit sind, diese Position im Zweifel zu verlassen. Wir sollten das nicht vergessen.

Dieses Bündnis sollte dazu beitragen die machtpolitische Abstinenz der außerparlamentarischen Zivilgesellschaft zu beenden. Gegenüber Parteien, die bereit sind, die Demokratie zu verteidigen, kann es jetzt keine parteipolitische Neutralität mehr geben. Sie sollten einzeln als gleichberechtigte potenzielle Bündnispartner*innen betrachtet und auch einzeln unterstützt oder wenn nötig kritisiert werden. Wie umgekehrt den Parteien klar sein muss, dass sich dieses Bündnis dagegen verwahren muss, sie als machtpolitischen Vorhof zu instrumentalisieren und dort Vereinsmeierei zu praktizieren.

Eine solche Bewegung muss sich in Wahlkämpfe einmischen und wo nötig auch in die Tagespolitik danach. Sie kann und muss Parteien in ihrem Machtanspruch so lange unterstützen wie sich diese temporär oder dauerhaft in Übereinstimmung mit den eigenen Zielen befinden. Und ihnen dort widersprechen, wo das nicht der Fall ist. Diese Bewegung muss dort, wo diese Parteien lokal keine Relevanz mehr haben, ein Dach zur Zusammenkunft und Sammlung sein.

Sie muss stark genug sein, um überall den Feinden der Demokratie offen entgegenzutreten und zugleich für ihre Erneuerung zu kämpfen. Das ist die verbleibende Chance.

6. Die nächsten Schritte

Wir haben uns am 23.11.2024 in Berlin auf folgende Eckpunkte geeinigt:

  • Wir wollen weiter als Netzwerk Progressive Linke auf der Grundlage unserer Grundsatzpositionen und für die dort formulierten Ziele zusammenarbeiten. Unser
    Ziel bleibt weiterhin eine starke demokratische Linke. Wir respektieren, das
    Mitglieder des Netzwerkes dafür in der Partei weiterarbeiten und andere dies nicht
    (mehr) als zielführend betrachten. Wir wollen zugleich zwischen beiden Gruppen
    keine organisatorische Trennung im Netzwerk.
  • Wer sich über die bisherige Teilhabe im Netzwerk hinaus organisieren will (ob in der
    Partei oder anderswo), kann und soll dies ungefragt tun. Solange sie bzw. er sich in
    Übereinstimmung mit unseren politischen Grundsätzen befindet, ist es ausdrücklich
    erwünscht, das dabei mit dem und für das Netzwerk geworben wird.
  • Wer sich in welcher Form auch immer organisieren will, trägt die individuelle
    Verantwortung für das dafür notwendige Engagement. Eine Delegierung auf andere
    Mitglieder oder deren Einbeziehung setzt deren persönliches Einverständnis
    voraus, einzuholen von den Initiatoren. Eine Verpflichtung per Mehrheit oder in
    anderer Form findet nicht statt.
  • Im Ergebnis unseres Treffens haben Mitglieder des Netzwerkes vereinbart, sich in
    die inhaltliche Debatte der Partei und ihren organisatorischen Aufbau einzubringen.
    Andere bereiten die Gründung eines Vereins vor, welcher unter den neuen Voraussetzungen mehr organisatorische, rechtliche und finanzielle Stabilität in die Arbeit des Netzwerkes bringen soll.

Es geht jetzt darum unter diesen Voraussetzungen und vor dem Hintergrund der neuen Lage unsere Arbeit strategisch und organisatorisch neu aufzustellen.

Lasst uns also jetzt an der Erneuerung der Partei und zeitgleich an der Bildung eines übergreifenden Bündnisses für die demokratische und solidarische Erneuerung der Demokratie arbeiten. Die einen in Verantwortung in der Partei. Andere im sich gründenden Verein. Möglicherweise auch beides. Jede*r an der bevorzugten Stelle. Aber immer gemeinsam.

 

Thomas Nord
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Ich wurde am 19. Oktober 1957 in Berlin geboren. Im Osten Berlins ging ich bis 1974 zur Schule, wurde 1976 Maschinen- und Anlagenmonteur und war anschließend, nach vier Jahren bei der Volksmarine, bis 1984 Jugendklubleiter.

Zur selben Zeit absolvierte ich ein Studium als Kulturwissenschaftler. Politisch überzeugt war ich in hauptamtlichen Funktionen in der FDJ, dann in der SED tätig und ließ mich 1983 als IM des MfS verpflichten. Der demokratische Umbruch in der DDR im Jahre 1989 öffnete mir den Weg vom Parteikommunisten zum demokratischen Sozialisten. Der offene Umgang mit meiner Biografie und das anhaltende Hinterfragen auch persönlichen Versagens gehört seit 1990 dazu.

Dies führte zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Realsozialismus, unterstützt durch eine mich prägende Zusammenarbeit mit Stefan Heym, dessen Mitarbeiter ich 1994/95 sein durfte. Die Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland ließ mich zunächst in der PDS, jetzt für DIE LINKE aktiv bleiben. Seit 1999 bin ich in Brandenburg aktiv. Dort war ich von Februar 2005 bis Februar 2012 Landesvorsitzender meiner Partei. 2009 wurde ich erstmals für DIE LINKE direkt, sowie 2013 und 2017 über die Landesliste erneut in den Bundestag gewählt. Seit 2012 bin ich Mitglied des Parteivorstandes und von 2014 bis Juni 2018 war ich Bundesschatzmeister meiner Partei.

Jan Schlemermeyer

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