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Erklärung zum Selbstverständnis

Für eine progressive Linke! Mut statt Angst! Solidarität statt Ausgrenzung!

(Berlin, 18.03.2023)

Heute findet unser zweites Treffen progressiver Linker in Berlin statt. Auf unserer ersten Zusammenkunft im Dezember 2022 haben wir die Situation der Partei analysiert, die Erklärung #DieLinkeMitZukunft (Berliner Erklärung) verabschiedet, eine erste politisch-programmatische Selbstverständigung vollzogen und das weitere Vorgehen vereinbart. Wir können und müssen feststellen, all das bleibt gültig und notwendig.

Drei Monate später ist die aktuelle Lage in der Partei von einer sich verschärfenden innerparteilichen Auseinandersetzung um ihren zukünftigen politischen Kurs gekennzeichnet. Sie hat darüber ca. 10.000 Mitglieder verloren, ein Ende der Austrittswelle ist nicht absehbar. Strukturen lösen sich auf oder verlieren an Handlungsfähigkeit. Trotz deutlicher Äußerungen einzelner Verantwortlicher gibt es nach wie vor keine klar erkennbare Linie der Parteiführung, wie mit dieser desolaten Lage umgegangen werden soll. Einige Genoss:innen verbreiten gar die wirklichkeitsfremde Einschätzung, die Partei sei auf „Erfolgskurs“. Eine Richtungsentscheidung wird, trotz klarer Kampfansagen und anhaltender Provokationen aus dem nationalpopulistischen Lager an die bestehende Linke, nicht angestrebt. Dieses „Weiter so“ bietet keine Voraussetzungen für die Bewältigung der Parteikrise für die Wahlen im Mai in Bremen und im vierten Quartal in Hessen und Bayern sowie für den Bundesparteitag im November.

Dabei haben die Wahlen in Berlin im September 2021 und die jetzige Wiederholungswahl eine klare Antwort darauf gegeben, wie die Partei nach den Wahlniederlagen der vergangenen Monate ihre derzeitige Misere überwinden kann. Die Berliner Linke hat in Zeiten vielfältiger Krisen den praktischen Nachweis erbracht, gebraucht zu werden: mit realistischen, helfenden, zusammenführenden und solidarischen Antworten und Lösungen. Sie hat in Regierungsverantwortung Antworten gegeben, die die Krisen und Diskriminierungen gleichermaßen in den Fokus nehmen und Betroffene nicht gegeneinander ausspielen. Eine solche demokratisch-sozialistische Partei, die für eine solidarische Gesellschaft streitet, kann sich regional selbst gegen den entgegengesetzten Bundestrend in der Wählergunst weitgehend stabil halten. Das ist auch in Bremen so, wo die LINKE zwei Monate vor der Wahl in Umfragen bei acht Prozent steht, für die Arbeit ihrer Senator:innen und ihrer Fraktion breit anerkannt wird und die Chance hat, die Regierungsbeteiligung zu verteidigen.

Und doch zeigt sich zugleich, dass selbst gute und überzeugende Antworten alleine nicht ausreichen, weitere Wähler:innen zu mobilisieren, solange keine überzeugenden Stellungnahmen in übergeordneten gesellschaftspolitisch bedeutsamen Fragen gegeben sind. Die Politik der Partei bleibt unberechenbar, solange ungeklärt ist, ob linke Politik zentrale gesellschaftliche Probleme im Hier und Heute lösen oder diese nur beliebig bis reaktionär im Eigeninteresse einer um das Überleben kämpfenden Organisation nutzen will. Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob sich Menschen noch mit der betreffenden Organisation und ihren vermeintlichen Grundwerten identifizieren können, sondern auch ganz praktisch darum, an wen man sich in der Gesellschaft mit welchem Anliegen und Ziel wendet oder wenden kann. Wo das, wie derzeit bei der Linken, nicht mehr hinreichend klar wird, droht völlig zu Recht, dass sich viele Betroffene, aber auch mögliche gesellschaftliche Verbündete abwenden, letztlich droht der vollständige Bedeutungsverlust.

Spätestens seit der Auseinandersetzung um den Versuch der Gründung der nationalpopulistischen Bewegung „Aufstehen“ einerseits und der Unterstützung der progressiv-humanistischen Initiative „Unteilbar“ andererseits versucht die Partei, Unvereinbares zusammenzuführen. Das nationalpopulistische Lager in der Partei setzt auf das Geschäft mit der Angst. Ängste vor „Überfremdung“, vor Veränderungen im Kampf gegen den Klimawandel, vor gesellschaftlichem Abstieg, vor Abwertung und Kränkung und vor Krieg werden missbraucht, um mit Ab- und Ausgrenzung, nationaler Abschottung und Entsolidarisierung für sich zu mobilisieren. Der verzerrte und verklärende Blick in diverse deutsche Vergangenheiten wird zur muffigen Zukunftsvision. Damit kann man vielleicht noch bei der einen oder anderen Wahl Stimmen gewinnen. Der praktische Nachweis, dass ein solcher Blick zurück für linke Parteien von Nutzen ist, blieb überall dort, wo es probiert wurde, aus. Nicht einmal als Opposition erzielt Die Linke damit derzeit irgendwelche „Erfolge“.

Die letzten Jahre haben die Gesellschaft mit sehr grundlegenden Herausforderungen konfrontiert, für die es keine einfachen Antworten gibt. Wie bekämpft man wirksam und solidarisch eine Pandemie? Wie soll ein europäisches Nachbarland gegen einen russischen Angriffskrieg verteidigt werden? Wie soll Migration menschlich und solidarisch gestaltet werden? Darf die „Festung Europa“ eine Antwort sein? Wie kann das 1,5-Grad-Ziel erreicht werden, ohne die soziale Spaltung zu verschärfen? Was ist zu tun, damit die untere Einkommenshälfte nicht immer weiter abgehängt wird? Eine demokratisch-sozialistische Partei, die darauf mit einem klaren linken Kompass Antworten gibt, die der Wirklichkeit standhalten, wird dringend gebraucht – nicht aber eine Partei, die darauf mit liebgewordenen Floskeln antwortet. Sie löst nur noch Kopfschütteln aus. Mit vermeintlichen Lösungen von vorgestern gibt es keine realistischen und solidarischen Lösungen für die von den realen Problemen Betroffenen, mögliche gesellschaftliche Verbündete wenden sich ab. Das politische Angebot besteht aus dem Benennen von Sündenböcken, aus Beschimpfung und Verachtung. Dieser Stil, der an „rebellisch-autoritäre“ Haltungen appelliert, führt – gewollt oder nicht – zur Annäherung an die politische Rechte.

Progressiv linke und demokratische Politik braucht Mut. Sie lebt von der Bereitschaft, für Veränderungen einzutreten und gemeinsam mit vielen Verbündeten für neue solidarische Lösungen zu kämpfen, die den tatsächlichen Problemen gerecht werden. Um dafür glaubwürdig und mobilisierungsfähig eintreten zu können, muss sich die Linke offensiv von der reaktionären Ideologie des nationalpopulistischen „Linkskonservatismus“ trennen und konsequent den Weg einer progressiven und demokratischen Linken beschreiten. Deshalb bekräftigen wir erneut: Der „Linkskonservatismus“ hat mit den Werten der internationalen Solidarität vollständig gebrochen. Er ist dem Inhalt nach rückwärtsgewandt, ist sozialkonservativer Nationalpopulismus, der in Stellung gebracht wird gegen Geflüchtete, queere Menschen, Klimabewegte und andere „skurrile Minderheiten“. Den im Kapitalismus Abhängigen und Ausgebeuteten kann man so kurzzeitig und schrill einen Scheinausweg bieten, aber keinen Weg, zu ihrem Recht zu kommen.

Eine progressive Linke will notwendige gesellschaftliche Veränderungen demokratisch und sozial, ökologisch, feministisch und antipatriarchal, offen und plural, streitbar und tolerant, antirassistisch und antifaschistisch und mit einer konsequenten Friedenspolitik vorantreiben. Und als progressive Linke sagen wir: Für eine Politik, die Geflüchtete gegen Einheimische ausspielt, das Klima gegen die soziale Frage, Freiheitsrechte gegen den Gesundheitsschutz, den Frieden gegen die Solidarität mit dem Angegriffenen kann es in einer linken politischen Bewegung keinen Platz geben.

Und wir unterstreichen: Ja, DIE LINKE hat eine Chance, wenn sie nach Antworten sucht, die die Ungerechtigkeiten im eigenen Land benennen, ohne sich von der Welt abzuschotten, nach Antworten, die die grundlegenden Herausforderungen der Menschheit hier und heute aufzeigen, ohne sich die Perspektive einer demokratisch-sozialistischen, solidarischen Gesellschaft zu verbauen. Wenn sie gemeinsam mit Gewerkschaften und Sozialverbänden, mit Initiativen für Umverteilung, für soziale Gerechtigkeit gegen Diskriminierungen, mit Bewegungen gegen die wachsende Klimakatastrophe, mit zivilgesellschaftlichen Initiativen für Solidarität mit Geflüchteten kämpft.

Soziale Menschenrechte und individuelle Freiheitsrechte sind für eine progressive Linke nicht zu trennen. Hier sehen wir den Weg hin zu einer Gesellschaft sozialer Gerechtigkeit und individueller Freiheit, zu einer offenen Gesellschaft, in der die Akzeptanz vielfältiger Lebensweisen gleichwertig mit dem Kampf um soziale Gerechtigkeit ist.

Eine progressive Linke hat ein klares Ziel: Wir wollen eine Gesellschaft, in der kein Kind in Armut aufwachsen muss, in der die Herkunft nicht über den Lebensweg entscheidet, in der alle Menschen selbstbestimmt in Frieden, Würde und sozialer Sicherheit leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse demokratisch gestalten können. Wir wollen alle gesellschaftlichen Verhältnisse überwinden, in denen Menschen ausgebeutet, entrechtet und entmündigt werden. Dabei geht es um Menschen, nicht um Pässe, Staatsbürgerschaft oder Herkunft, geschweige um andere Religionen und Lebensweisen. Nationalismus in jeder Spielart lehnen wir ohne Wenn und Aber ab. Links kann nur internationalistisch sein, oder es ist nicht links.

Eine progressive Linke will in diesem Sinne in die Partei, vor allem aber in die Gesellschaft hinein wirken. Das erfordert Zeit und konkretes Agieren im Kleinen, Graswurzelarbeit. Daraus können neues Vertrauen und eine neue Verankerung in der Gesellschaft erwachsen, gerade auch angesichts zu erwartender Verschärfungen von gesellschaftlichen Konflikten. Darin kann für DIE LINKE eine Chance liegen, die es zu nutzen gilt.

Eine progressive Linke steht für eine weltoffene, emanzipatorische und plurale Mitgliederpartei. Die kann es wieder geben, wenn sich viele Genoss:innen und Sympathisant:innen zusammentun, die sich diesen Prinzipien verbunden fühlen. Der Bruch mit dem rechtsoffenen Populismus in der eigenen Partei ist dafür unvermeidlich.

Thomas Nord
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Ich wurde am 19. Oktober 1957 in Berlin geboren. Im Osten Berlins ging ich bis 1974 zur Schule, wurde 1976 Maschinen- und Anlagenmonteur und war anschließend, nach vier Jahren bei der Volksmarine, bis 1984 Jugendklubleiter.

Zur selben Zeit absolvierte ich ein Studium als Kulturwissenschaftler. Politisch überzeugt war ich in hauptamtlichen Funktionen in der FDJ, dann in der SED tätig und ließ mich 1983 als IM des MfS verpflichten. Der demokratische Umbruch in der DDR im Jahre 1989 öffnete mir den Weg vom Parteikommunisten zum demokratischen Sozialisten. Der offene Umgang mit meiner Biografie und das anhaltende Hinterfragen auch persönlichen Versagens gehört seit 1990 dazu.

Dies führte zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Realsozialismus, unterstützt durch eine mich prägende Zusammenarbeit mit Stefan Heym, dessen Mitarbeiter ich 1994/95 sein durfte. Die Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland ließ mich zunächst in der PDS, jetzt für DIE LINKE aktiv bleiben. Seit 1999 bin ich in Brandenburg aktiv. Dort war ich von Februar 2005 bis Februar 2012 Landesvorsitzender meiner Partei. 2009 wurde ich erstmals für DIE LINKE direkt, sowie 2013 und 2017 über die Landesliste erneut in den Bundestag gewählt. Seit 2012 bin ich Mitglied des Parteivorstandes und von 2014 bis Juni 2018 war ich Bundesschatzmeister meiner Partei.

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